Im Frühjahr kam hoher Besuch zum „Kleinen Tieloh“, unserem Standort für Internationale Vorbereitungsklassen: Jason Chue war zu Gast. Organisiert worden war das Treffen von der ESA1a-Klassenlehrerin Marlane Wingo, selbst gebürtige Amerikanerin. Recht aufregend: Am Tag zuvor waren bereits LKA-Beamte im Haus gewesen, um die Umgebung und ihre Sicherheit zu besichtigen. Denn Jason Chue ist nicht irgendwer, er ist seit Juli 2022 der US-Generalkonsul für Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Er hat als Diplomat seit 2005 bereits in Venezuela und auf Zypern gearbeitet, ebenso in Taiwan und auf den Azoren. In Washington D.C. war er im Büro für außenpolitische Angelegenheiten der Vereinten Nationen im US-Außenministerium sowie im Büro für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Bevor er in den diplomatischen Dienst ging, war der heute 46-Jährige in seiner Heimatstadt New York Anwalt für Wirtschaftsrecht. Außerdem hat er Verteidigung und strategische Studien, Psychologie und Linguistik studiert. Er spricht die Sprachen Englisch, Deutsch, Spanisch, Portugiesisch, Mandarin, Türkisch und Französisch.
Von Security und seinem Pressesprecher begleitet wurde er hinter dem Schulgebäude vorgefahren, stieg aus und kam strahlend zum Haus. Nach der Begrüßung durch unseren Schulleiter Arne Gudjons ging es hoch in den ersten Stock, in die Klasse ESA1a. Die ESA1a ist unsere „Ukraine-Klasse“, da ausschließlich Schülerinnen und Schüler in dieser Klasse sind, die in den vergangenen Monaten aus der Ukraine nach Hamburg kamen.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde begann eine Fragerunde, die von Marlane Wingo, die ebenfalls zehn Jahre in New York gelebt hat, moderiert wurde. Hierbei ging es um ganz offizielle Fragen (etwa zum beruflichen Werdegang von Jason Chue) über die Gründe, wie seine aus China stammende Familie in Amerika gelandet ist, – bis hin zu unterschiedlichen Bräuchen in unterschiedlichen Ländern (wo wird Pizza mit der Hand gegessen, wo mit Besteck?) – aber auch über Hobbys (Jason Chue joggt gern und liebt seinen Hund). Auch spannend war die Frage, wie man sich am besten einer neuen Fremdsprache nähert und ermächtigt. Sein Tipp ganz klar: „Filme mit Untertiteln gucken!“ Man sprach über New York und darüber, womit diese Stadt am ehesten assoziiert wird.
Zum Abschied wurden Geschenke ausgetauscht. Marlane Wingo überraschte Jason Chue und seinen Pressesprecher mit typisch amerikanischen Süßigkeiten, die man hier in Deutschland normalerweise nicht bekommt. Jason Chue verschenkte im Gegenzug insgesamt fünf Münzen des Generalkonsulats sowie ein Buch über New York – allerdings in deutscher Sprache – denn es sei stets wichtig, die Sprache des Landes zu beherrschen, in dem man lebt. Und das ist für unsere Schülerinnen und Schüler im Moment Deutschland – wo auch immer ihr Lebensweg sie noch hinführen mag. Das Gefühl, fremd zu sein, der Heimat fern, haben unsere Schülerinnen und Schüler mit dem US-Generalkonsul gemeinsam – wenngleich er freiwillig um die Welt zieht, wohingegen die Jugendlichen aus der Ukraine niemals geplant hatten, im Jahr 2023 in Deutschland zu leben.
Freundlich und beschwingt ging das Treffen zuende. Fotos wurden aufgenommen, und nach ein bisschen Smalltalk verließ Jason Chue den Kleinen Tieloh wieder und fuhr mit Security und dunklem SUV zurück in seinen Alltag im Konsulat. Irgendwie haften bleibt seine Antwort auf die Frage: Warum hat sich der ehemalige Anwalt trotz renommiertem Job und gutem Einkommen vor rund 18 Jahren dafür entschieden, seine Juristen-Karriere an den Nagel zu hängen und in die Politik zu gehen? Es war der 11. September, der Angriff aufs World Trade Center, der dazu führte, dass er seine Profession überdachte und ihn nach neuem Sinn suchen ließ. „Ich hatte ein größeres Bedürfnis, Menschen zu verbinden, Nationen zu verbinden, Menschen zu treffen und Kontakte zu knüpfen. Junge Menschen dafür zu begeistern, ebenfalls international Kontakte zu knüpfen.“ Und mit genau dieser Botschaft ist er genau richtig gewesen, bei uns, am Kleinen Tieloh …
Silke Nadler